Friday, February 23, 2007

Hommage an die Langstasse / Saile Klein fördert den Mythos


Nachtclub mit dem wunder schönen Namen
"Irma la Douche" in der Müllerstrasse
(gefunden bei senders.ch)


Ich mag Zürich nicht. Diese Stadt ist arrogant und durchzogen von Spiegelbildern die stolz durch die sauberen Strassen und Clubs schweben, ohne von ihrer Umwelt Kenntnis zu nehmen, solange diese ihrem Spiegelbild keine entscheidende Verbesserung zufügt. Da Zürich auch für viele Leute vom Land und der Agglo der „place to be“ ist, wird das allgemeine Pfauengehabe noch verstärkt. Allerdings würde ich es in einer Stadt die ich mag (Bern oder Lausanne zum Beispiel) nicht lange aushalten, weil es mir langweilig würde, vor lauter Harmonie.

Ein Quartier das weder harmonisch noch all zu stark von koksenden gesellschaftlichen Aufsteigern belastet ist (zumindest nicht unter der Woche), liegt rund um die Langstrasse. Hier ist Zürich wirklich städtisch, Nicht ein Dorf welches sie auf Grund seiner Finanzen mit einer Weltstadt verwechselt. Hier lebe ich und das macht Spass. Die Schweizer Bevölkerung ist ja eher zurückhaltend. Jemanden einen schönen Tag zu wünschen wird als so indiskret verstandnen wie das Portemonnaie zu klauen. Im Kreis 4 und 5 hat man seine Ruhe auch wenn man mit der Kioskfrau einen kurzen Schwatz hält oder an der Bushaltestelle nicht krampfhaft versucht, ja nicht von den anderen Wartenden etwas wahr zu nehmen. Hier wohnen viele Sozialfälle, Süchtige, arme Leute, Ausländer, mittelose Studenten und perspektivenlose Kreative. Dieses Viertel strahlt den Charme einer Klassenlosen Gesellschaft aus.

Neulich fragte mich ein Mann aus Guinea ob ich ihm eine Zigarette habe. Ich rauchte meine letzte und zeigte ihm meine leere Packung. Da meinte er „no problem, i also take your half" und ich raucht die Zigi bis zur Hälfte runter und gab sie ihm dann. Mich hat verblüfft mit welcher Selbstverständlichkeit das passiert ist. Oder in der berüchtigen Lugano Paar machte mich mal ne Nutte an und ich fragte sie, ob sie denn eine sei. Sie meinte „Dont ask now!“ und küsst mich wild. Dann meinte sie „Sure I m a bich and you dont look like you could pay for me. But it s nice to kiss such a sweet honey!“ dann lachte sie drehte sich weg und setze sich zu einem alten Mann in dessen Augen die Frage stand, ob er sich mit seinem restlichen Geld unter den Tisch saufen oder diese Frau bezahlen sollte. Ja, ja ich bin geil auf die Authentizität des Abschaums der sich unter dem Glanz unserer Konsumgesellschaft(so ein abgebrauchtes Wort, kauft mir jemand ein neues?!) tummelt. Aber als Zyniker tut mir die Ehrlichkeit dieses Quartiers gut. Vor ihr haben manchen Menschen Angst, so scheint es. (übrigens ob mein Englisch schlecht ist, oder das der hier besprochenen Charaktere, weiss ich nicht so genau!)

Der stahlharte Sauberbesen perfektionistischer Weltgesinnung will hier putzen. Im Tram sassen hinter mir zwei junge Yuppies so gegen die 30. „Oh nein, jetzt muss ich noch mit dem 32´er Bus durch die Langstrasse, da hat es doch immer dieses Pack!“ Der Freund meiner Schwester (der eigentlich ein cooler Typ ist, wenn auch GC-Fan und ob man dann noch… aber egal) hat Angst das ihm das Auto zerkratzt wird, wenn er durch den Kreis 4 fährt. Was ist los mit diesen Leuten? Ich lebe jetzt gut zwei Jahre hier(zahl wenig Miete) und mir ist noch nie was passiert. Vielleicht liegt es daran, dass ich selber oft versoffen aussehe, aber ich hab oft das Gefühl das Millieu interessiert sich nicht für mich. Ausser wenn ich ihnen eine guten Tag wünsche, rot werden wenn mich den Strassenhure anhaut, nen Joint mit jemanden rauch oder über Gott und die Welt und die verschissenen Zigarettenpreise philosophier.

Woher kommt dieser Drang nach Sicherheit? Ich weiss es wirklich nicht. Ich versuch mal ne ne Analyse ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Vielleicht ist es Angst vor der harten Realität der sozial Schwächeren. Diese Angst auf diese Randständigen zu projizieren, um eine Auseinandersetzung mit sich selbst und doch recht sinnloses Dahinschwindens in menschlicher Produktivität, dessen Druck eine Pause nicht zu lässt und deshalb exzessiv ist, aus dem Weg zu gehen. Denn solange es diesen Abschaum gibt, und vor allem solange man ihn vor Augen hat. Wird die schöne Eigentumswohnung oder das schicke Loft niemals ganz frei zu geniessen sein. Jeder Mensch hat schliesslich ein Gewissen.

Viel ist die Rede von Lebensqualität die es im Langstrassenquatier zu fördern gelte. Dabei herrscht hier eine sehr hohe Lebensqualität; zu mindest für Menschen wie mich. „Dreh meinen Sound auf, die Nachbarn ham Humor“ (Seeed), man nimmt sich hier wahr, soweit es möglich ist für eine Grosstadt und so weit es jedem hilft. Es ist nicht dieser Zwanghafte Drang nach Individualität da (oh Mann es gibt zwar schon sehr viele Galerien) in den wir uns vor Angst vor zu vielem Kollektivismus verrannt haben. (thx to rebell.tv ;-) ) Es gibt hier keine einheitlichen Werte, darum muss man sich auf den Respekt verlassen, der jedem Lebewesen durch das Leben gegeben ist. Bei Menschen führt dieser Respekt zu erstaunlicher sozialen Kompetenzen. Vielleicht ist das Langstrassenviertel einfach zu suberversiv.

Das muss ne üble Zeit gewesen sein, als die Junkies, vom Letten vertrieben, die Kreise 4 und 5 überschwemmten. Die Leute die vor mir in meiner Wohnung wohnten, meinten, es sei öfters vorgekommen, dass vor der Haustüre oder im Hauseingang Gerippe aus Menschen lagen, denen man erst bei den ersten Bewegungen ansah, dass sie noch am Leben waren. „Hesch mer en Stuz?“. Das führte zu einer Flut von Überwachungskameras, welche sicher nicht nur wegen der traditionellen Krawalle am 1. Mai eingeführt wurden. Es gibt sogar den Witz, dass dies hier nicht das Rot- sondern das Blaulicht-Viertel sei. (Wegen der vielen blauen Lampen in den Innenhöfen, durch deren Licht es nicht möglich ist seine Venen zu finden und sich nen Schuss zu setzen.) Heute baden die jungen freshen Leute am Letten, die Bäckeranlage (ein Park im Kreis 4) ist familienfreundlich gesäubert und die Alkis haben sich brav in das Kasernenareal zurückgezogen. (was für uns praktisch ist, weil sie im Winter gerne unseren Speermüll für ihr Feuer benutzen.)

Natürlich ist die Gegend hier an sich schon ein Mythos. Jeder kommt mit einer Vorstellung hier her, die mehr oder weniger bestätigt wird. Aber durch das nicht perfekte und dauernd neu Entstehende, wird es möglich, es als normaler weil unangepasster Mensch auszuhalten. Wie lange noch ist die Frage. Denn gerne würde man hier alles clean machen, ist schliesslich so zentral die Gegend. Das ganze Pack kann man ja in die Sozialwohnungen in Schwammedingen, Seebach, Opfikon usw. abschieben. Damit das suuuuubere Züri endlich Realität wird.

Dass es Parallelgesellschaften gibt, welche kein moralisches Problem, oder ein Problem der Abstammung sind, sondern vor allem ein soziales, weil Vertrauen in einer hart umkämpfenden Wirklichkeit, nur in engen Kreisen möglich ist, wird gerne ignoriert. Dass nur die Durchmischung möglichst vieler Schichten und Kulturen Spannungen und Probleme in der daraus ständig resultierenden Auseinandersetzung lösen können, will man nicht einsehen. Doch das geschieht im Kreis 4 und 5. Es mögen hier sozial Randständige leben, aber sie leben mitten in der Stadt. Das sorgt für ein gesundes Klima. Ich gebe den Trotteln von Investoren und scheinheiligen Politkern noch 10 Jahren, dann werden sie das Viertel zerstört haben. Ich weiss dann nicht mehr wo ich in Zürich leben soll...geh vielleicht nach Paris.

Überwachungskarma
Stadtraum HB 1 + 2 *
Langstrasse Plus
ourcall city (thx to linkilicious)
Projekt Langstrasse/Boutte d´Or


(*Dieses Projekt wurde in einer Abstimmung 2006 vom Stimmvolk angenommen. Stadtpräsident Ledergerber war froh, dass die Kreise 4 und 5 auch Ja gestimmt haben. Kein Wunder die wenigen Schweizer die hier leben und abstimmen, sind natürlich für die „Aufwertung“ der Gegend.)

3 comments:

Unknown said...

wohnst du noch oder lebst du schon im chreis chaib? und am besten in einem squat? wenn du aus deinem wohnort einen mythos bastellst, dann musst du dir bewusst sein aus welchem archiv du schöpfst: arbeiterquartir, immigrantenanteil, sogenannte "randgruppen" soziale kämpfe usw. aber wie sieht denn dein quatier heute aus? ist das noch ein ort wo es möglich ist zu leben? ist es nicht eher eine schicke sushibar ein grosser szeneclub und ein ort an dem viel zu viel gearbeitet wird? architektinnen künstlerinnen designerinnen und musikerinnen müssen schuften damit sie über die runden kommen oder sie verdienen vie kohle und schlagen sich die nächte mit der verwaltung dieser herum. das motto lautet wär schläft hat verloren. die ellenbogen sind spitzer geworden. traurig ist das du diesen myhtos, der einst die kreativen in dieses quatier gelockt hat und die es dann "aufgewertet" haben, aufrecht erhälst. die immigrantinnen mussten in die agglomoration auswandern die obdachlosen werden in einem innenhof versteckt. naja es is buissenes angesagt das geschäft mit den bildern mit der oberfläche.

Saile Klein said...

man darf doch noch träumen... ;-)

Das Margeau said...

ich habe einen besseren vorschlag; man nehme 100 bagger, man bitte alle züricher die stadt zu verlassen, dann rupft man alle pflanzen und bäume aus und lagert sie kurz. anschliessend lässt man die bagger über die stadt fahren und alle strassen und häuser niederreisen, dann holt man irgendwo frische erde, pflanzt die bäume und pflanzen wieder ein, gibt jedem züricher ein zelt, jagt chemikalien in die luft damit die sonne immer scheint und voila!! neue utopie.. und alle züricher sind glücklich und froh..oder nur seileklein?? hmmmm....